7

»dort«, sagt eine Stimme, und ich schaue in die falsche Richtung. dort. ich sehe Kuppen von Fingern, sie rechen vom Haaransatz bis zum obersten Wirbel. ich sehe Strähnen in die von den Fingernägeln gekehrten Furchen zurückquellen, unversehrt zwischen den Zähnen. ich sehe kein Gesicht. das ist die Sonne

eine Stimme, die sich einmal hinter mir befunden hat, pfeift mir zum Ohr heraus: »schau«, zerstäubt mich über Sprühblumenwiesen. Hände spannen, leger gefaltet, eine Klinge Gras zwischen die Daumen. wo deren Taillen Durchzug zulassen, setzen Lippen an, blasen. blasen nichts. spucken unfreiwillig. die Klinge hat zu viel Spiel, sie vibriert nicht, sie wedelt lustlos, lasch die Luft durch. das bist du

eine Stimme, klamm und friktiv, die mir als Kette umhängt: sssssssssssssssschschschschschssssssssssssssschschschtpschschschschschschschschschschtschschschshshshshshhhhhhhhhhhh. quillt eine Stillung, eine Linderung, Besänftigung, Entschuldigung, eine Scham als Gupf, ein Tropf, eine Schliere aus meinem Ohr. sie war mir einmal nah, unfassbar, als ließe sich nur sprechen mit den Lippen an der Haut. die Angesprochene mit Hauch und Speichel anbrechen, das Eingeweckte wach machen, für Tag und Zeugenschaft. es ist dir, dass alles offen steht

den Schlitz der Lippen auf die Haut übertragen. an der Wange ein Schlitz mit der Unterlippe sch, an der Schulter ein Schlitz mit der Unterlippe sch, an der Brust ein Schlitzsch, neben dem Bauchnabel ein Schlitz, aus dem es trötet und furzt, dass ich gicksend lachen muss, dass ich ausscheiden kann, die anderen Schlitze wecke. und wenn »dort« mir eine Stimme versagt, die mir einmal so nah war – du schaust in die falsche Richtung. wenn »schau« diese Stimme, die mir aus dem Ohr kommt wie eine, die einmal mit Abstand, sich windend vor mir stand, dass ich mich abwandt, weil wo sie mir versagt zu sagen, was ein Schlitz sei, der Schmerz, der ihr ins Wort fällt, mir den Schlitz erklärt, und ich sinke ihm tagelang nach

diese Schlitze sind die erste Erzählung von Berührung und Abriss, vom Ausreißen und Eindringen, dass wo ein Schlitz einmal entgegen seiner Bestimmung verheilt, eine Nut ist, eine Mulde, Sitz für Dichtungen, für einen Nutzen, der versiegelt ist, für Technik, die in Kraft tritt. der Nut sind wir zu schlitzohrig, wir verheilen nicht, trocknen nicht

»dort« schallt mir eine Stimme aus den Ohren, die ich einmal vor den Kopf gestoßen habe, und sie sich abgewandt, eine Entschuldigung im Schließen der Tür, im eiligen Weggehen, ausgeworfen. »dort«, du schaust in die falsche Richtung, »schau«, begutachten wir den Schlitz, dessen Tarnung ein lediger Witz, der einzige Schlitz, den die ganze Welt sieht, der alle Menschen schon einmal begutachtet hat, ein Schlitz, der Lippen aber keine Zunge, der Hals und Sekret aber keine Stimmritze, und manchmal stehen aus ihm Haare zu Berg, dringen aus ihm, als würde eine Blase sich bilden, Schreie – und er reißt ein

schschschschschschschschschschshshshshshshhhhhhh. es lernt die Welt durch Schlitze sehen. Lippen liegen bedächtig an ihm. »dort«, sage ich, eine Faust ragt heraus, geht auf in vier Schlitzen. »dort« fährt ein Windstoß in den Vorhang, wuchtet ihn ins Zimmer und lässt seine Wallung von zwei zu beiden Seiten abgleitenden Stoffbahnen enthüllen. dann ist es still. die Wellen der Bahnen kommen leicht wehend wieder ineinander zu liegen. du schaust in die falsche Richtung, ein Schlitz ist dort, wo Enden sich berühren, die Ränder von Etwas kein Loch bilden, keine Öffnung, die offen steht, sondern die Möglichkeit einer Öffnung, geschützt von einer Berührung, friktiv. Nut, das ist

die vertane Berührung mit sich selbst. ich trage eine ständig entzündete Wunde, zwei Seiten eines Vorhangs ineinander, nass vom Regen, von Schnee, Wundsekret, rosa Aquarellflecken im Entstehen. muss Waschen, Tupfen, Schmieren, sie verstecken. die Augen der Welt davor verbinden. ich lebe, die Vorhänge vorgezogen, mit dem Fenster. sperrangelweit offen

14

»Nach dem Einbringen der Dichtung in die Nut«, beginne ich in einer Dokumentation über ein Stanzinstrument zu lesen. es stanzt Löcher in Metallplatten, nein, es stanzt metallene Kreise aus; noch ist nicht gesagt, was Abfall, was Produkt ist, Loch oder Kreis. was wird weiterverarbeitet, was zum Altmetall gehandelt, was wird verbaut, was eingeschmolzen, hier werden Maschinen gebaut, hier werden Maschinen gebaut.

bevor ich in die Arbeit involviert werde, beschäftige ich mich mit den Abfällen, den Spänen, Graten, Abbrüchen, dem Altmetall. manche langen, spiralförmigen Späne lassen sich als Locken ins Haar drehen oder als Ohrschmuck tragen, besonders lange Späne sind Halsketten und leicht um einen Anhänger erweitert. ringe in allen möglichen Ausformungen gibt es, mit ihren scharfgratigen Kanten bleibe ich an Stoffen, Haut hängen. oft bilden sich Klüfte, hat ein Schlitz sich entzündet, wie sich Dinge eben entzünden, wo es nach Lötfett, Eisenmilch und Versengtem riecht.

Nuten, das sind Matrizen für Krusten. mit gratigen Fingernägelrändern kratze ich, seit ich denke, über die Haut. für jede Emotion eine Art Gekratz. solange die Finger nicht anderswo eingebunden sind, folgen sie närrisch allen Reizen, fräsen Nut um Nut in die Haut, lassen diese sich mit Eisenmilch und Sekret füllen, trocknen, und es kommt vor, dass sie die Kruste zu früh abkratzen. was als Schlitz beginnt, ist Nut und Matrize für eine Füllung, für Ausdringen und Einbringen und Abnehmen. doch das Wort Nut, das Wort Matrize, das Wort Dichtung gehören zu einer Gruppe Wörter, die mir nichts sagen, die mich an Wörter erinnern, denen sie ähneln, die sie vorgeben, nicht zu meinen.

»Nach dem Einbringen der Dichtung in die vorgesehene Nut, Dichtung einölen und mit einer Kalibrierhülse bzw. einem -dorn« – der Maschinenbau denkt in einer Sprache, die nicht klingt, obwohl sie außerordentlich klänge, die wenn, dann wie auswendig gelernt und aufgesagt aus den Mündern fällt, in klumpfüßigen Setzkastenverbänden. eine Sprache, deren Grammatik nur das Zusammensetzen denkt und im Übrigen sich auf genügend Schmier verlässt. die Arbeit aber selbst erklärt sich anders. Mundfaul, im Tun. man spannt ein, drückt Knöpfe, fräst, dreht, bohrt, man öffnet Laden, greift nach einem Werkzeug, feilt, entgratet, folgt einem dunklen Fingernagelrand; man drückt etwas Zangenartiges, ein Kompressor springt an, es pfaucht, es drückt die beiden Hände conter-magnetisch auseinander, Späne fegen über den Boden, man zurrt den Schweißer aus, klappt das Schild ins Gesicht, schweißt und lässt die Augen mit dem Brennpunkt kokettieren.

die klotzige Fachsprache, die alles andere als glotzt, sich nicht nackt vor den Spiegel stellt und mustert, den Stoff ihrer corporalen Bürokratie lupft und ihm vom Schreibtisch in die Burleske folgt. während große Maschinenhallen sich zu Museen ihrer Arbeitsvorgänge pflegen, ist die Werkstatt, in der ich mich dem Abfall widme, schmierig, schmutzig und feucht, dort trifft Metall auf Fleisch – eine Intimität, die Gewalt, Schock, Schmerz, Sekrete kennt. und Lust. Ingenieurin ungeniert.

»Nach dem Einbringen der Dichtung in die vorgesehene Nut, Dichtung einölen und mit einer Kalibrierhülse bzw. einem -dorn die Dichtung rückverformen.« die Fachsprache ist eine ungeschlachte Sprache, mit einem Wortschatz, der nichts über sich wissen, der sich nicht nackt betrachten, abtasten und nutschen, sich weder offenbaren noch bei sich sein darf. die Fachsprache, in Stasis überspielt sie ihre Ängste vor den Schlitzen in und zwischen ihren Wörtern, erschrickt und stockt vor der Möglichkeit der Weichteilung, sich in den Schlitz, durch den Verschluss kraft Berührung, durch eine Berührung zu wagen. und die Waage zu halten

17

»die mönche gnepfent und gnüttent sô sêr daʒ si verschüttent daʒ gelt daʒ si empfiengen«

er zerreißt den Bann, versenkt sich im Schlitz, und die restlichen Finger, geballt, halten sein Spiel, daran die Contenance des Arms, irgendwo ein Gesicht, keine Miene, Stasis, Andacht – sie verraten den Finger nicht. im weichen, feuchten Abgeschirmten, in das er sich vorrührt, hat er die Zeit der Welt – und Angst, etwas könnte ihn fassen, festhalten und rückwärts aus ihr rausziehen, eine Angst, wieder Engel zu werden vor der Zeit. sie wird Erregung, die er mit dem Zeigefinger im Himmel übersetzt zur Verführung: er sei verführt

sei es in Zahnrädern, sei es Erregung, sein es Organe, die sich drehen; das Leben ein Dreh, festgehalten am Kolben zwischen zwei Nuten mit einem Keil. eine winzige Übersetzung, die noch keine Kette, kein Band, keine Klinge, noch kein zweites Rad braucht, regt sich im Dreh der Dinge, übersetzt die Art der Befestigung, Nut um Nut ein Keil, in Unwucht: Vibration, Gnütten, Groove, eine unsymmetrische Affäre, die Verschleiß betreibt, hin zum Moment, wo ein unfest stehender oder aufliegender Körper bei schwachem Stoß droht, zu fallen. der Kreisel ist ein rohes Ei. wir träumen nicht

die fallende Faust, der fallende Arm, ein fallender Körper, ein gefallener, versunkener Blick auf die Kurvung, die Verdoppelung des Schlitzes an der Fingerwurzel; solange sie fallen, ist noch nichts preisgegeben. der Schlitz gilt unserem Blick. dehnt der Finger ihn? schließt sich der Schlitz um ihn? vernimmt er da eine Bewegung? eine Veränderung? hat ihn etwas gestreift? gedrückt? verführt

haben wir das schon einmal eindringlich studiert?

Angst vor dem Uneinsichtigen, das keine klare Form hat, sich nicht in-shape versteht, wo unser Wulst Konturen weichzeichnet, Unschärfe nicht maskiert, wo Ansinnen von Form darauf hinausläuft, dass sie zäh ist: sich windet und ungewuchtet dreht. in das, was sich dreht, kann sich nichts bohren, es fräst eine Nut rundum; wie sieht die Nut in eine ungewuchtete Drehung aus? ein unbestimmtes Gewinde, Gewölbe? das unbestimmte Gewinde hinter dem Schlitz, das schamlos Uneinsichtige, wehrt eine zackige, zackige, zackige Praxis ab. nur entschlossen, mit Schutzblech und Kompressoren, lässt sie an das kraft Zack erkannte glauben. dass wir keine Gerätschaften  sind, zeigt sich in den Schlitzen, solange sie kraft Berührung zusammenhalten, Enge in regungslosen Küssen, in schlichter Einfalt, im Zusammenkleben von Häuten und Sekreten. schshhhsst

1

Angst vor dem Uneinsichtigen, das kraft Berührung dichtet, und atmet, in das wir nicht vordringen können, das keine Vorstöße verkünden lässt am Weg zu irgendeiner Erfindung

Unwucht in den Wörtern erkennen, wo Genie Schutz und genieren Geständnisse dichtet

Versuch von dieser blinden, bildgewaltigen Fachsprache, die in Schubladen absteht, etwas zu lernen, das sie nicht beherrscht. sie einweichen; vulgär werden

spann dein Werkstück ein, beobachte deine Lippen, wenn sie sich formen. stell deinen Lippen nach, finde Lippen am ganzen Körper, stellt euch ins Luv, beobachte deine Lippen, wie sie Luv machen, liebe das Schlaffe, beobachte deine Lippen wie sie sich schlaff machen, Schlitze sich in die Schlaffe verziehen, wie der Beginn der unbestimmten Gewinde hervorschwillt, beobachte deine Lippen, wenn sie Malve Malve Malve nachfahren, beobachte deine Lippen im Luv – le vent nous – sag zawór, sag kurwa, blase in die Fachsprache, rozmowa, rozmowa rozumów, sag schschschschschshshshshshhhtszczelina, sei mężatka techniki, sei pfauchendes Ventil, beobachte deine Lippen, wenn sie valve, valve, valve anatmen. beobachte deine Lippen, wie sie Volumen schaffen, wie sich ihr unbestimmtes Gewinde in allen Freiheitsgraden in die Waage schwillt

stell dich ans Fenster, sei Windstoß, verkünde: »Frauen in die Technik!«, werde Pimp der Fachsprache, fahr mit einem Hauch von Nichts hinein und pumpe sie um Assoziationen an, der Beginn von Erfindung – le vent nous. Pimp, an die ich meine Unterlippe lege will, für friktives, ungewuchtes Beben 



Franziska Füchsl
DE:
Franziska Füchsl lebt in Kiel und Wien, studierte Anglistik und  Deutsche Philologie in Wien und Sprache und Gestalt an der Muthesius  Kunsthochschule in Kiel. Das Lyrikdebut rätsel in großer schrift  erschien 2018 in der edition mosaik, das Prosadebut Tagwan folgte 2020  im Ritter Verlag. Ebenfalls 2020 erschien My Haarschwund bei Sampson Low in London im Rahmen des European Poetry Festivals. In der Werkstatt  ffxl entstehen, z.T. kollaborativ, Provisorien für das Lesen als Unikate  oder Kleinstauflagen. www.ffxl.xyz

PL: mieszka w Kilonii i Wiedniu, studiowała anglistykę i germanistykę w Wiedniu oraz Communication Design w Muthesius Kunsthochschule w Kilonii. Jej debiut poetycki rätsel in großer schrift ukazał się w edition mosaik. W 2020 r. wydała debiut prozatorski Tagwan w wydawnictwie Ritter oraz My Haarschwund w Sampson Low w Londynie (w ramach European Poetry Festival). W Werkstatt ffxl publikuje, częściowo we współpracy z innymi twórcami/twórczyniami, literackie prowizoria w postaci unikatów i druków niskonakładowych. www.ffxl.xyz

Bartosz Kolczykiewicz (ur. 1995) – student Wydziału Grafiki warszawskiej ASP, absolwent Liceum Plastycznego w Supraślu,tworzy pod pseudonimem Bartecky. Kontrast, zdecydowane kolory, przerysowana forma to jego przepis na sztukę. Nigdy nie przebiera w środkach, uwielbia eksperymentować. Z uwagą obserwuje otaczający go świat i ludzi. Dragsy, performerzy i inne tęczowe ludki to jego wielkie muzy. Kocha modę, taniec i robienie sobie selfie, czego przykładów bez trudu można doszukać się w jego pracach.