Wenn wir über die Zukunft sprachen, legten wir uns auf den Rücken und stellten uns allerlei vor: dürres Gras, über das wir akribisch wachten; Nachtfalter, die wir
fingen und in unsere Hosentaschen stopften; den Ozean, der nur noch aus Muskelfleisch zu bestehen schien. Die Wellen glichen größeren und kleineren
Bizepsen, du unterteiltest sie in männlich und weiblich. Die männlichen Wellen nahmen Strand mit, die Weiblichen brachten ihn zurück, um ihn glatt zu
bügeln. Das Universum nahm keinerlei Notiz davon. Du wolltest dich künftig gesünder ernähren und nichts mehr essen, was aus dem Wasser kam. Wir
verfielen unbehandelten Zitronen, die zu unseren neuen Göttern wurden, wir aßen und tranken sie und lachten über die erfrischende Bedeutungslosigkeit
unserer Gedanken. Die Zukunft in der Zukunft war nur noch ein beiges Kleid, das niemand tragen wollte. Die Zukunft in der Zukunft waren fröhliche Lieder, die
keiner sang, weil eine angemessene Intonation längst abhanden gekommen war. Wir vermuteten überall dort Friedlichkeit, wohin wir mit unseren Händen langten, das hielt
uns eine Weile bei der Stange. Ameisenkundschafter liefen im Zickzack über unsere Bäuche, es war höchste Zeit, sich zu erheben.
Voller Enthusiasmus haben wir Zitronen auf jedes Haus gemalt, das uns gefiel. Ich gab zu bedenken, dass die Darstellungen beliebig anders gedeutet werden
könnten, rundliche, schwarze Formen symbolisierten nahezu alles, und vollkommen egal, wie lange wir danach suchten, Malkästen blieben unauffindbar.
Pinkelpausen nutzen wir, um Urin in Glasflaschen abzufüllen, seine Farbe glich noch am ehesten einem satten Zitronengelb, wir setzten unsere Hoffnung auf die
Verdunstungsrückstände. Regelmäßig wurden überall an der Küste Strandfeuer entzündet, um die Konturen des nächtlichen Kontinents auch für Astronauten
der Internationalen Raumstation sichtbar werden zu lassen. Es schien uns unvorstellbar, dort eingeschlossen zu sein und sein Leben damit zu verbringen,
auf die Erde herabzuschauen. Dass es schon bald keine Raketen und Kapseln mehr geben würde, um Astronauten abzuholen, … wir beendeten solche Sätze
wahrlich selten. Die Zukunft, das waren unzählige Schlaglöcher auf den Highways, die es auf Bandscheiben und Bindegewebe abgesehen hatten. Die Zukunft war der
Vereinigte Zivilisationsmüll von Amerika, ein wiederholt auftretender Schmerz in der Beckengegend. Wir krümmten unseren Verstand mit Hilfe von Gleichungen,
die uns von streunenden Hunden zugeknurrt wurden. Wir gerieten selten in Versuchung, sie mit Steinen zu bewerfen, die in exakt berechenbaren Bahnen ihr
Ziel verfehlten.
Wir hatten einen Pakt mit dem Ozean ausverhandelt, einmal in der Woche durften wir in ihm baden, ohne dass uns schleimige Kreaturen zu Leibe rückten. Im
Gegenzug verpflichteten wir uns, ihn in Gedichten zu verewigen. Manchmal ließen wir jene vervielfältigen, die wir als besonders gelungen erachteten. Mit
Reißnägeln befestigten wir sie an nahegelegenen Stegen und Bäumen, klemmten sie hinter Scheibenwischer einigermaßen intakt aussehender Autos, verteilten sie
auf Parkplätzen, die nicht von Unkraut geflutet waren, klebten diese auf gut einsehbare Schaufenster entlang der Promenaden. Wir schlossen auch einen Pakt
mit dem Westwind, dass er uns keinen feuchten Sand mehr in die Augen schmiere, dafür dürfe er sich beliebig an deiner schönsten Wäsche bedienen. Wir
präsentierten ihm regelmäßig die besten Stücke auf einem Silbertablett. Wir konnten uns für keinen Pakt mit dem Wald erwärmen, der sich in unserer Gegend
vornehmlich aus gesichtslosen Büschen zusammensetzte. Er bestand auf unserer Kaffeemaschine, von der wir uns auf gar keinen Fall trennen wollten. Wir steckten
regelmäßig sein Buschwerk in Brand, das sich ohne derart drastische Maßnahmen unser Lager einverleibt hätte. Du beschwertest dich beim Ozean, der
angeblich versprach, bei der nächstbesten Gelegenheit ein ernstes Wörtchen mit dem Wald zu reden.
Wir ließen einander nichts anmerken, schluchzten gelegentlich auf, wenn wir Papiertüten in die Luft warfen, mit leeren Köpfen fällt es einem besonders leicht,
den Himmel in einer kindlichen Art und Weise anzuklagen. Wir blickten abwechselnd nach oben und unten, bis unsere Augen die Farben des jeweils
anderen annahmen, ohne sich endgültig festzulegen. Wir legten traurige Gedanken in rostigen Schiffsrümpfen ab, die bei einer unvorsichtigen Berührung
Blutvergiftungen auslösten. Deine Schwester wäre an einer solchen verstorben, ihr hättet mit Vorliebe an den falschen Orten gespielt. Du hast die
obligatorischen roten Striche an ihren Unterarmen zuerst entdeckt, sie wanderten behände zur Armbeuge hoch. Ihr hättet sie zur Kenntnisnahme mit
dicken Filzstiften nachgezogen, um auf die Sepsis hinzuweisen. Die Kleider deiner Schwester hast du später wütend mit Steinen gefüllt und im Ozean versenkt. Ich
versuchte mich zu erinnern, was ich zu dieser Zeit getan hatte, vermutlich spielte ich irgendwo eine posttraumatische Variante von Baseball.
In Hotelzimmern legten wir darauf wert, einen funktionierenden Fernseher vorzufinden. Du hast dich ein jedes Mal so lange ins Programm vertieft, bis du irgendwo
eine Sendung über den Ozean entdecktest. Oder einfach nur Serien, die den Ozean ansatzweise ins Bild rückten. Einmal lief sogar eine ganze Staffel von Baywatch;
am Schönsten waren die Szenen, in denen keinerlei Badeanzüge und ölige Körperteile den Ozean verdeckten. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, David
Hasselhoffs Kopf rasieren zu wollen. Am eindrucksvollsten waren Hotelanlagen, die einen Swimmingpool aufwiesen, und im Sommer automatisch ein Aquarium
über die Bildschirme flimmern ließen. Wir ließen sie die ganze Nacht lang an und blubbernde Geräusche drangen bis in die entlegensten Winkel unserer
Gehirnregionen vor. Das Blubbern wurde künftig zum Bestandteil unseres Sprechens, wie Seepferdchen bewegten wir die Lippen und unsere Augen
wanderten unmerklich zu den Schläfen. Wir neigten und drehten die Köpfe, um den toten Winkel in unserem Gesichtsfeld auszugleichen. Mehrfach hast du dir
einen Spaß daraus gemacht und dich im Zimmer frontal platziert, so dass ich dich nicht bemerkte. Ich begriff allmählich, dass du mir fehltest, obwohl du
stets an meiner Seite warst.